Vom Abschiedsgedicht fürs Tram zum Mitlenker der VZO

Für Rolf Gadola waren die Verkehrsbetriebe Zürichsee und Oberland (VZO) ein prägender Teil seines politischen Lebens. Als Bub bedauerte der ehemalige Gemeindepräsident von Grüningen das Ende der Wetzikon-Meilen-Bahn (WMB) noch mit einem Gedicht.

Dass er einmal die Geschicke der VZO mitbestimmen würde, hätte sich der kleine Rolf Gadola 1950 nicht gedacht. Damals sagte er mit seinem Schulfreund Hugo Brüngger ein wehmütiges Abschiedsgedicht auf, als die WMB zum letzten Mal an der Station Willikon (Oetwil am See) hielt:

« Ja, Tram, jetzt gilts, bisch usrangiert, S wird hüt ja alles modernisiert. Im Weg den Autos d’Schiene sind und s’Losigswort das heisst jetzt: Gschwind. Doch chames würkli au verstah, dass jetzt, wo s Tram eus tuet verlah, mit Wehmuet alli sind erfüllt, s hät eifach ghört zum Landschaftsbild. Es hät nüd ghastet, nüd pressiert und pünktli eus zum Ziel doch gfüehrt. Vergesse werded s’Tram mir nüd und niemert vo de Trämlerlüt, all sölled euse Dank hüt ha, mögs s ihne ohni Tram au guet na gah!»

«Als Kind war mir damals gar nicht bewusst, worum es wirklich geht», erinnerte sich Rolf Gadola im vergangenen Februar. «Es war ein schönes Fest und ich durfte dort etwas vortragen.» Der Wechsel von der Schiene auf die Strasse erschien ihm auch gar nicht als grosse Veränderung im Dorfleben. «Bei mir gab es keine Wehmut, weil es die WMB nicht mehr gab, aber auch keine ausgesprochene Freude, weil neu Busse fuhren.»

Den Tramfahrer aufgehalten

Dabei gehörte die «Wurst-mit-Brot-Bahn» zu seinem Alltag. Im Oetwiler Ortsteil Willikon aufgewachsen beobachtete er oft, wie Zement in Säcken für den Familienbetrieb in Güterwagen der WMB vor dem Magazin angeliefert wurden. Wenn die Mutter etwas verspätet für ihre Fahrt an den Zürichsee oder Richtung Wetzikon war, rannte er aus dem Haus und bat den Tramfahrer um Geduld. «So war das halt», lächelt Gadola.

Auch nach dem Wechsel blieb vieles beim Alten. Die Strassen waren zum Teil noch mit Kies bedeckt. Bei trockenem Wetter hing minutenlang eine Staubwolke in der Luft, wenn eines der damals noch seltenen Autos durch den Weiler fuhr. Erst als ein paar Jahre später die Gleise entfernt wurden, habe er gespürt, dass eine neue Zeit angebrochen sei.

Und die Busse fuhren häufiger als das hellblaue Tram. Das wurde für den heranwachsenden Oetwiler wichtig, weil er nun via Männedorf nach Zürich in die Berufsschule pendelte. Das starke Schaukeln in den Alfa-Romeo-Bussen hat er nicht vergessen, wenn die sich auf der Südseite des Pfannenstielrückens durch die engen Kurven schlängelten.

Busfahrer waren Respektpersonen

Während die Tramfahrer von den Passagieren räumlich getrennt waren, sassen die Buschauffeure im selben Wagen. Das schaffte Nähe. «Wir hatten zu ihnen eine enge Beziehung», erzählt Gadola. «Schaggi Buchmann, Herr Allemann und die anderen – wir kannten sie beim Namen.» Viele arbeiteten schon für die WMB. Sie alle waren Respektpersonen. «Einige von ihnen waren bei uns Kindern aber unbeliebt», sagt er.

Trotz der heissen Debatten rund um den Wechsel von der Bahn zum Bus wurde die Entscheidung am Ende schnell akzeptiert. «Ich glaube, die Diskussionen sind nach der Abstimmung rasch verstummt», sagt Gadola. Es sei einfach eine neue Ära angebrochen. «Wenn ich damals hätte abstimmen können, ich hätte wohl auch für den Bus gestimmt.»

Nur wenige Autos im Dorf

Mobilität habe in den frühen Fünfzigerjahren am Land noch eine andere Bedeutung gehabt. Das Leben spielte sich zuerst im Dorf ab. Nur wer auswärts arbeitete oder dringende Wege zu erledigen hatte, verliess den Wohnort. Das wirkte sich auch aufs Sozialleben aus. «Bei uns in Oetwil gab es damals vielleicht zehn Privatautos», erzählt er. «Wer eines hatte, der fuhr oft Leute aus der Nachbarschaft ins Spital oder die Väter machten ganze Kindertransporte aus dem Quartier zu Anlässen ausserhalb der Gemeinde.»

Diese Entwicklung hielt sich Gadola ein halbes Menschenleben später, als er Gemeindepräsident von Grüningen war (1974 – 1990), immer vor Augen, wenn es in der Kommunalpolitik um Strassen, Individual- und öffentlichen Verkehr ging. Einige Jahre war er auch im Verwaltungsrats-Ausschuss der VZO vertreten und lenkte die Geschicke des immer grösser werdenden Regionalbusunternehmens mit. Ein erstaunlicher Werdegang für einen Mann, der einst ein Wehmutsgedicht auf das Ende der WMB vorgetragen hatte.

Rolf Gadola ist im Juni 2023, kurz vor seinem 85. Geburtstag, gestorben.