Jede Fahrt mit dem «Zähni» ist eine Zeitreise

Ein Jahr nach Gründung der Verkehrsbetriebe Zürichsee und Oberland (VZO) gesellte sich ein Bus mit langer Schnauze zur noch kleinen Flotte. Der FBW Wagen Nummer 10 fährt noch heute. Als Prachtstück des FBW-Museums in Wetzikon lädt er ein zur Nostalgie auf Rädern.

Die Türe fällt mit einem satten «Klack» ins Schloss. Behaglich sinkt man in einen der 30 Ledersitze, Stehplätze gibt es keine in diesem 1949 von der Wetziker Firma FBW gebauten Fahrzeug mit Karosserie von Tüscher in Zürich. Das Lenkrad im Wagenradformat beherrscht das Cockpit. Die Grösse ist auch nötig, denn ohne Servolenkung würde man mit einem kleinen Steuerrad den Bus kaum um die Kurve bringen.

Dazu passt das Kupplungspedal. Man muss sich fast in die Rückenlehne stemmen um es durchzudrücken. Das ist körperliche Arbeit in Reinkultur ohne Automatik. Das Schalten mit Zwischengas und Zwischengängen ist ebenfalls Übungssache wie auch die dosiert eingesetzte Motorbremse, erklärt Hans Billeter, Präsident des FBW-Clubs. Man müsse immer vorausschauen und vorausdenken. Am Berg dürfe man nicht zu spät runterschalten, ein Rotlicht muss behutsam angebremst werden. «Wer das nicht beherrscht, kommt nicht einmal bis Hinwil», sagt der 63-jährige Männedörfler. Derzeit ist er einer von zwei Fahrern für das «Zähni», wie der Bus wegen seiner alten Flottennummer genannt wird. Der zweite ist sein Sohn Roger.

Ein kleines Wunder

Eine Vierteldrehung am zierlichen Blechschlüssel, Billeter drückt auf den Startknopf. Sofort springt der wuchtige Dieselmotor unter der langen Haube an, die sich vor der Windschutzscheibe wie ein Schiffsbug aufbaut. Steuerrad und Cockpit zittern leicht bis er mit einem Hebelchen im Zentrum des Lenkrads das Standgas so eingestellt hat, dass der Motor fast vibrationsfrei schnurrt. Dafür genügen gemächliche 450 bis 500 Umdrehungen pro Minute. Bei maximal 1850 Touren bewegen 105 PS das 12,5 Tonnen schwere Fahrzeug bis zu seiner Höchstgeschwindigkeit von 75 km/h.

Billeter rollt den Bus aus der Garage des FBW-Museums, trotz dunkler Wolken am Himmel kommt die makellos blau-silberne Lackierung im Originaldesign strahlend zur Geltung. Auf die Frage, was an diesem Fahrzeug das Besondere ist, antwortet er nur: «Dass er noch fährt!» Es ist ein kleines Wunder, Wagen 10 drohte nämlich dasselbe Schicksal wie beinahe allen ehemaligen Linienbussen. Sie werden ausgemustert, irgendwohin verkauft und meist nach wenigen Jahren endgültig abgewrackt.

20 mal um die Erde gefahren

Dieser Bus stand bis 1979 in den Diensten der VZO, legte in den drei Jahrzehnten rund 800.000 Kilometer zurück. Das entspricht 20 Erdumrundungen. Virtuell kam er also weit in der Welt herum. Doch wie fast alle der zwischen 1919 und 1985 gebauten Fahrzeuge von FBW blieben sie in der Schweiz. Nur wenige wurden im Lauf der Firmengeschichte exportiert. Aber als Oldtimer oder Gebrauchtfahrzeuge kann man heute in den exotischsten Ländern vereinzelt FBW sehen.

1980 wurde das «Zähni» veräussert und als Wohnmobil benutzt. 1998 kauften es die VZO zurück. «Das war sein Glück», sagt Billeter. Denn es folgte eine Komplettrestaurierung und das zweite Leben als rollende Nostalgie. Im Jahr 2000 übernahm Beat Murer aus Jona den Oldtimerbus. Heute gehört er dem FBW Club und kann für Extrafahrten – zum Beispiel Hochzeitsgesellschaften, Klassentreffen, Firmenanlässe oder Klubreisen – gemietet werden.

Längst ist dieser Bus ein Glanzpunkt nicht nur im FBW-Museum in Wetzikon, sondern auch ein Hingucker bei jeder Ausfahrt. Ein Team von Enthusiasten sorgt mit Wissen und Können, dass er stets optisch wie mechanisch in Schuss bleibt. Von Unfällen blieb der Bus verschont. Alles ist noch original, nur ein paar Zusatzteile wurden eingebaut, um dem heutigen Strassenverkehrsgesetz zu genügen. Dazu zählen kleine Ecklichter und ein Fahrtenschreiber.

Ewiges Leben möglich

Hans Billeter nennt es «entschleunigtes Fahren», wenn er am Steuer des «Zähni» sitzt. Genau das schätzen auch die Passagiere. Das gemächliche Tempo, die Aura in einem Dreivierteljahrhundert alten Bus zu sitzen, versetzen sie in vergangene Zeiten, als Auge und Seele noch Schritt halten konnten mit der vorüberziehenden Landschaft.

Natürlich habe der Oldtimer auch seine Macken. «Bei Hitze sollte man den Kühler nicht mit grossem Blumenschmuck abdecken», erklärt der Clubpräsident. Und in der Höhe von Bergpässen hechelt der Motor dünnere Luft ein, dann muss er hochtouriger fahren. Trotzdem glaubt Billeter an ein ewiges Leben für Wagen 10, sofern man immer Leute findet, die nach ihm schauen. Zum Glück ist das Ersatzteillager voll. Für Spezialarbeiten kann der Club auf die Firma Röllin in Hirzel zählen. Der Unterhaltsaufwand sei überschaubar. Das Getriebe ist so robust, da gehe nichts kaputt. Regelmässig frisches Öl, da und dort etwas schmieren, höchstens mal eine Dichtung auswechseln. Aber das kennen die Menschen in diesem Alter ja auch.

Informationen: fbw.ch/museum